Wissenschaft im Dienst des Profits: Wie Studien und Social Media uns manipulieren

Wissenschaft im Dienst des Profits: Wie Studien und Social Media uns manipulieren

Wissenschaft wird gemeinhin als objektive Instanz verstanden – als Werkzeug, das Fakten schafft und Wahrheiten zutage fördert. Doch diese Idealvorstellung kollidiert in der Realität mit wirtschaftlichen Strukturen. Forschung ist teuer. Sie braucht Labore, Personal, Infrastruktur, Zeit – und vor allem: Geld. Dieses Geld kommt selten aus rein altruistischen Quellen. In der Praxis sind es überwiegend große Unternehmen, Konzerne oder politisch motivierte Institutionen, die Forschung finanzieren. Und diese Geldgeber haben ein Interesse an bestimmten Ergebnissen – nämlich solchen, die ihren Zielen nützen.

Forschungsinstitute, Universitäten und sogar Fachjournale geraten dadurch unter Druck. Wer zahlt, bestimmt, was gefragt wird – und was besser nicht. Kritische Fragestellungen, die womöglich geschäftsschädigende Erkenntnisse bringen könnten, werden gemieden. Ebenso Themen ohne unmittelbaren wirtschaftlichen Verwertungszweck. Wer sich solchen Themen widmen will, steht meist ohne Finanzierung da. Das Ergebnis: Eine Wissenschaft, die sich zunehmend wirtschaftlichen Interessen beugt, statt unbequeme Wahrheiten zu suchen.

Besonders deutlich zeigt sich das in der Nahrungsergänzungsmittelbranche – ein Milliardenmarkt, der durch ein fragwürdiges Zusammenspiel von Forschung, Medien und Social-Media-Influencern geprägt wird. Die Konsequenzen für Konsumenten sind gravierend. Im Folgenden werfen wir einen detaillierten Blick auf die zentralen Mechanismen, mit denen wissenschaftliche Erkenntnisse systematisch verzerrt, selektiv verbreitet oder im Sinne wirtschaftlicher Interessen umgedeutet werden. Jeder dieser Mechanismen trägt auf seine Weise dazu bei, dass sich ein falsches Bild von Wirksamkeit, Sicherheit und Nutzen in den Köpfen der Verbraucher festsetzt – mit realen Folgen für Gesundheit, Geldbeutel und Entscheidungsfreiheit.

1. Research Bias: Was nicht ins Geschäftsmodell passt, wird nicht erforscht

Der zentrale Bias beginnt nicht erst bei der Auswertung von Studien, sondern bei der Frage, welche Forschung überhaupt betrieben wird. In der heutigen Forschungslandschaft werden praktisch nur Themen untersucht, die einen wirtschaftlichen Nutzen versprechen. Forschung kostet Geld – viel Geld – und dieses Geld kommt in der Regel nicht von unabhängigen, objektiven Stellen, sondern von Unternehmen, Lobbyverbänden oder politisch motivierten Institutionen. Wer zahlt, stellt die Regeln auf.

Das bedeutet: Es wird nicht objektiv gefragt, was ein Stoff wie etwa ein Nahrungsergänzungsmittel bewirkt – sondern wie man ihn so erforscht, dass sich ein möglichst positives, vermarktbares Ergebnis erzielen lässt. Studien werden von Anfang an so konzipiert, dass sie verkaufsfördernde Erkenntnisse wahrscheinlicher machen. Negative Fragestellungen wie "Welche Nebenwirkungen hat dieser Stoff?" oder "Für wen könnte er riskant sein?" tauchen im Forschungsdesign meist gar nicht erst auf.

Noch gravierender: Forschung zu Themen, mit denen sich kein Geld verdienen lässt oder die bestehende Geschäftsmodelle untergraben könnten, findet schlichtweg nicht statt. Wer hätte ein wirtschaftliches Interesse daran, herauszufinden, dass ein populäres Supplement wirkungslos oder gar schädlich ist? Genau – niemand, der bereit wäre, solche Forschung zu finanzieren.

Das Ergebnis ist ein extrem verzerrter Forschungsoutput: Wir sehen eine Flut von Studien, die alle auf der gleichen grundlegenden Hypothese basieren – nämlich dass das Produkt funktioniert. Studien, die diese Hypothese infrage stellen, werden weder beauftragt noch finanziert.** Es existieren Hunderte Studien zu Magnesium, Ashwagandha, Omega-3 und Co., die alle minimale Effekte auf bestimmte Biomarker zeigen. Selten sind sie wirklich robust, meist von Herstellern oder Lobbygruppen finanziert. Wirklich unabhängige, große, placebokontrollierte Langzeitstudien? Fehlanzeige. Warum? Weil kein Konzern ein Interesse daran hat, ein Produkt zu entwerten, das sich hervorragend verkauft.

2. Publication Bias: Nur was glänzt, wird veröffentlicht

Selbst wenn Studien durchgeführt werden, bedeutet das nicht, dass die Ergebnisse neutral an die Öffentlichkeit gelangen. Der sogenannte Publication Bias beschreibt den Effekt, dass Studien mit positiven Ergebnissen mit höherer Wahrscheinlichkeit veröffentlicht werden als solche mit neutralen oder negativen Resultaten. Die Folge: Ein wissenschaftliches Gesamtbild, das optimistischer aussieht, als es tatsächlich ist.

Doch es geht noch weiter: Studien werden vor der Veröffentlichung gezielt "frisiert". Das bedeutet, dass statistisch nicht signifikante oder wirtschaftlich ungünstige Resultate entweder komplett entfernt, relativiert oder im Wust methodischer Details versteckt werden. In manchen Fällen wird der Studienschwerpunkt sogar nachträglich verschoben, um ein positives Fazit zu konstruieren. Wirtschaftlich brisante Erkenntnisse, etwa über Nebenwirkungen oder Ineffizienz, verschwinden so in Schubladen oder werden nie publiziert.

Fazit: Was nicht zur Verkaufsstory passt, wird verschwiegen, relativiert oder umgedeutet.

3. Information Bias und Medienfilter: Wenn nur noch PR durchkommt

Der nächste Filter sitzt in den Medien selbst – und auf Social Media. Nur was Klicks bringt, wird verbreitet. Und was verkauft sich besser als „Neuer Superstoff entdeckt!“ oder „Influencer schwört auf XYZ“?

Dabei übernehmen viele Medienhäuser einfach die PR-Texte der Hersteller oder berufen sich auf fragwürdige Studien mit kleiner Teilnehmerzahl, kurzer Dauer oder methodischen Schwächen. Eine echte kritische Einordnung fehlt. Social Media verschärft das Problem: Hier werden Inhalte algorithmisch bevorzugt, die emotionalisieren und versprechen – nicht solche, die differenzieren und kritisieren.

Niemand hat ein wirtschaftliches Interesse daran, im großen Stil Informationen zu verbreiten, die sich nicht profitabel vermarkten lassen oder sogar bestehenden Umsatzmodellen schaden könnten. Nur Informationen mit direktem finanziellem Anreiz gelangen aktiv in Umlauf – oft überspitzt, einseitig und werbewirksam verpackt. Kritische Inhalte hingegen werden gezielt verschwiegen, weggelassen oder relativiert. Das Resultat: Ein völlig verzerrtes Informationsumfeld, das sich nicht an Wahrheitsfindung, sondern an Absatzsteigerung orientiert.

4. Astroturfing und Influencer als Propaganda-Werkzeuge

Ein besonders perfides Phänomen ist das sogenannte Astroturfing: Unternehmen finanzieren Kampagnen, die wie unabhängige Meinungsäußerungen aussehen. Dazu gehören gesponserte Studien, bezahlte Artikel und bezahlte Influencer-Meinungen. In sozialen Netzwerken fällt es Laien schwer, Werbung von echter Empfehlung zu unterscheiden – vor allem, wenn Influencer gezielt Authentizität vorspielen.

Beispiel: Ein Fitness-Influencer mit 500.000 Followern postet „Meine Supplement-Routine“. Dahinter steht ein sechsstelliger Deal mit einem Hersteller – natürlich ohne neutrale Prüfung der Inhaltsstoffe oder realer Wirkung. Die Community vertraut dem „authentischen“ Vorbild – und greift tief in die Tasche.

Weitere Strategien umfassen gefälschte Nutzerbewertungen, gekaufte Testimonials in Bewertungsportalen, inszenierte Experteninterviews und Pseudo-Dokumentationen. Auch Wissenschaftler werden vereinzelt gekauft, um als scheinbar neutrale Instanz bestimmte Aussagen zu stützen – sei es durch selektive Zitate, Konferenzvorträge oder Ghostwriting von Artikeln in Fachjournalen.

Ziel ist es immer, eine künstlich erzeugte öffentliche Meinung zu schaffen, die Vertrauen erweckt – und letztlich Produkte, politische Agenden oder Narrative verkauft. Die Grenzen zwischen PR, Meinung und Wissenschaft verschwimmen gezielt. Für den durchschnittlichen Konsumenten ist kaum noch erkennbar, ob er eine echte Empfehlung oder bezahlte Meinung konsumiert.

5. Konsequenzen für Konsumenten: Die neue Desinformationsökonomie

Die Auswirkungen sind weitreichend:

  • Fehlinvestitionen: Konsumenten geben Hunderte Euro im Jahr für Präparate aus, deren Wirkung bestenfalls fraglich ist.
  • Falsche Sicherheit: Menschen glauben, sich durch Supplements „gesund“ zu halten – und vernachlässigen echte Gesundheitsfaktoren wie Ernährung, Bewegung, Schlaf.
  • Gesundheitsrisiken: Einige Stoffe in hoher Dosis oder schlechter Kombination sind potenziell schädlich – doch wer prüft das schon kritisch nach?

6. Was tun? Der mündige Konsument ist gefragt – aber allein gelassen

Im aktuellen System ist der einzelne Verbraucher oft auf sich allein gestellt. Selbst viele Ärzte, Apotheker oder Ernährungsexperten verlassen sich auf die gängigen Studien – ohne sie wirklich kritisch zu hinterfragen. Und wer sich als Laie tiefer mit der Datenlage beschäftigt, muss ein solides Grundverständnis in Statistik, Studienmethodik und Pharmakologie mitbringen.

Kurz: Das System ist so gebaut, dass Intransparenz profitabel ist.

Fallbeispiel: Purdue Pharma und die gekaufte Wissenschaft hinter der Opioidkrise

Ein besonders dramatisches Beispiel für die hier beschriebenen Mechanismen ist der Fall Purdue Pharma und die Opioidkrise in den USA. Das Pharmaunternehmen entwickelte in den 1990er-Jahren das Schmerzmittel OxyContin, dessen Wirkstoff extrem abhängig macht – doch das wurde systematisch verharmlost.

  • Research Bias: Purdue finanzierte gezielt Studien, die die Suchtgefahr von OxyContin herunterspielten. Kritische Fragestellungen wurden systematisch vermieden oder nicht finanziert.
  • Publication Bias & Studienfrisierung: Eine winzige, nicht belastbare Studie wurde als Beleg für angeblich geringe Suchtgefahr propagiert und über 600-mal in Fachliteratur zitiert. Kritische Daten verschwanden in Schubladen.
  • Information Bias & PR: Purdue produzierte eigene Informationsmaterialien, schulte Ärzte und vermarktete das Mittel mit dem Claim „geringes Suchtpotenzial“. Kritik wurde juristisch und medial bekämpft.
  • Astroturfing: Das Unternehmen finanzierte scheinbar unabhängige Patientenverbände, Experten und Organisationen, die sich öffentlich für den Einsatz von OxyContin stark machten.

Ergebnis: Eine landesweite Gesundheitskatastrophe mit geschätzt über 500.000 Toten, massivem Missbrauch, sozialen und ökonomischen Folgeschäden. Purdue Pharma musste Insolvenz anmelden, die Eigentümerfamilie Sackler zahlte Milliarden – ohne Schuldeingeständnis.

Dieser Fall zeigt, wie gefährlich ein wissenschaftliches System werden kann, das wirtschaftlichen Interessen ausgeliefert ist. Und er demonstriert, wie alle Formen von Bias – von der Studienauswahl bis zur Medienstrategie – zu einer toxischen Gesamtwirkung verschmelzen können.

Fazit:

Dieser Artikel hat gezeigt, dass wirtschaftlich gesteuerte Verzerrungen in Forschung, Publikation und Informationsverbreitung keine Randerscheinung sind, sondern ein strukturelles Problem. Besonders in der Nahrungsergänzungsmittelbranche, aber auch in vielen anderen Bereichen, werden Forschungsthemen, Fragestellungen und Ergebnisse gezielt im Sinne von Profitinteressen gesteuert. Studien entstehen nicht zur Wahrheitsfindung, sondern zur Verkaufsförderung. Informationen werden nicht danach verbreitet, wie wahr oder relevant sie sind, sondern ob sie sich monetarisieren lassen. Und vermeintlich unabhängige Stimmen sind allzu oft bezahlte PR-Instrumente.

Der Fall Purdue Pharma hat exemplarisch gezeigt, welche zerstörerische Kraft diese systemische Verzerrung entfalten kann. Wer in einer solchen Informationslandschaft mündige Entscheidungen treffen will, muss nicht nur kritisch denken, sondern auch die Strukturen hinter der vermeintlichen Wissenschaft kennen.

Was wir brauchen, ist nicht mehr Wissenschaft – sondern eine Wissenschaft, die wieder unabhängig, kritisch und frei von wirtschaftlicher Einflussnahme ist.

Quellen & weiterführende Informationen:

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